Koordinations- und Studienzentrum Frieden und Umwelt

Peter Schmuck, Swantje Eigner, Sebastian Krapoth & Annett Kaufhold

Wie kommen Menschen zu ganzheitlichem Denken und Handeln?

 

Ein psychologischer Annäherungsversuch anhand biographischer Analysen

und eines Interviews mit dem Nobelpreisträger Ilya Prigogine

Schriftenreihe

 

Heft 9 Göttingen 1997

 


 

Inhaltsverzeichnis

1.      Annäherung an das Problem und erste Ergebnisse .........  1

2.      Schriftliche Befragung ...................................................  4

    2.1 Befragte und Fragen ...............................................  4

    2.2 Antworten ...............................................................  7

    2.3 Resümee ..................................................................  15

3.      Interview mit Ilya Prigogine ...........................................  18

    3.1 Biographische Angaben und Hauptgedanken .........  18

    3.2 Das Interview ..........................................................  22

4.  Ausblick .........................................................................  33

Literaturhinweise ................................................................  36

 

1. Annäherung an das Problem und erste Ergebnisse

Im Herbst 1995 begannen wir über eine alltägliche Beobachtung etwas systematischer nachzudenken: Wie läßt sich erklären, daß einige unter uns danach streben, zu einem ganzheitlichen Denken und Handeln, zu einem ganzheitlichen Leben zu finden, während andere dies nicht tun? Unter ganzheitlichem Leben soll mit Worten Albert Schweitzers verstan­den werden, daß jemand "das gesamte Gebiet menschlichen Wissens in seinen Grundzügen erfaßt, zu einer einheitlichen Weltanschauung aus­bildet, welche dem einzelnen seine Stellung zu der ihn umgebenden Welt zu Bewußtsein bringt und sein Urteil und sein Handeln bestimmt." (Schweitzer, 1899, Nachdruck 1991, S. 18). Oder konkreter an anderer Stelle: "Der primitive Mensch fühlt sich nur mit seinen Blutsverwandten solidarisch [...]. Je mehr sich seine Ethik unter dem Einfluß des Den­kens entwickelt, desto weiter zieht der Mensch den Kreis des Lebens, mit dem er sich verbunden fühlt. Zuletzt kommt er dahin, daß er nicht nur Pflichten und Verantwortung jedem Menschenwesen gegenüber, sondern auch jedem Geschöpf gegenüber anerkennt." (Schweitzer, 1936, Nachdruck 1991, S. 85). Den Gegenpol zu einem derart ganzheitlichen Leben sehen wir in Denken und Handeln, dessen Radius vom engen Horizont der persönlichen und familiären Interessen sowie des eigenen Berufsfeldes eingeengt wird. Extremfälle solchen "elementaristischen" Lebens könnte man etwa beim gutverdienenden Familienvater mit sicherem Job sehen, der sich nie Gedanken über Arbeitslosigkeit oder Hunger anderer macht, beim Fachwissenschaftler, der nicht über den Tellerrand seines Spezialgebiets hinausschaut oder sich Gedanken über mögliche Gefahren seiner Forschung macht, oder auch beim Soldaten, der blind jedem Befehl gehorcht.

Um eine Antwort auf unsere Frage zu finden, suchten wir zunächst in der Literatur nach biographischen Besonderheiten von Personen, die sich unserer Meinung nach durch ganzheitliches Denken auszeichnen. Bei Philosophen sollte man aufgrund ihres Berufes annehmen, daß sie ganzheitlich denken. Entsprechend begannen wir mit Weischedels "Philosophischer Hintertreppe" (1980), in der 34 der bekanntesten Phi­losophen von Aristoteles bis Zenon in Alltag und Denken beschrieben sind. Wir lasen den Sammelband "Neues Bewußtsein - neues Leben" von Schaeffer & Bachmann (1988), in dem zeitgenössische Autoren unter­schiedlichster Tätigkeitsfelder, z.B. Bateson als Psychologe oder C. F. v. Weizsäcker als Physiker, die heute in der westlichen Kultur üblichen Wertvorstellungen hinterfragen. Eine weitere Quelle war der Sammel­band "Grenzgänger der Wissenschaft", in dem Waldrich (1993) Heisen­berg, Wittgenstein und andere Personen charakterisiert, welche der Sinnkrise ihrer Zeit etwas Konstruktives entgegenzusetzen hatten. Da­rüber hinaus interessierten wir uns für weitere Experten des eigenen Fachgebiets (Evans, 1979, "Psychologie im Gespräch"); ferner lasen wir eine Reihe einzelner Monographien bzw. Biographien, darunter von Schrödinger (1987, 1989a, 1989b), Capra (1992), Davies (1990), Kübler-Ross (Gill, 1981). Schließlich lagen uns biographische Angaben von 64 Personen vor, die wir in Bezug auf ganzheitliches Denken und Handeln untersuchten. Diese waren: Thales, Sokrates, Platon, Aristoteles, Epikur, Zenon, Augustinus, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin, Meister Eckhart, Nicolas von Cues, Descartes, Pascal, Spinoza, Leibniz, Voltaire, Rousseau, Hume, Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer, Kierke­gaard, Feuerbach, Marx, Nietzsche, Jaspers, Heidegger, Wittgenstein, Fromm, Festinger, Zimbardo, Hilgard, James, Wundt, Pavlov, Galton, Krech, McClelland, Allport, Rogers, Eysenck, Rokeach, Milgram, Roszak, Kübler-Ross, Laing, Lassalle, Krishnamurti, Huxley, Richter, Schrödin­ger, Jungk, Davies, Capra, Dürr, Ferguson, Houston, Illich, Kuhn, Prigogine, C. F. v. Weizsäcker, Wilber.

Die Grundgedanken jeder Person und uns wesentlich scheinende bio­graphische Angaben (soziale Herkunft, Ausbildungschancen, Geschwi­ster, familiäre Beziehungen usw.) wurden aufgelistet. Außerdem schätz­ten wir für jede dieser Personen ein, inwieweit sie sich in ihrem Den­ken und auch Handeln (soweit hierzu Informationen vorlagen) dem oben beschriebenen Ideal ganzheitlichen Lebens angenähert hat. Die Analyse der so entstandenen Liste führte zu zwei wesentlichen Feststellungen:

Ganzheitliches Denken geht nicht notwendig mit verantwortungsvollem Handeln einher. Einige dieser Personen haben wunderbare Gedanken und Überzeugungen geäußert, sich jedoch im Laufe ihres Lebens bei bestimmten Entscheidungen nach unseren Maßstäben entgegen ihren Grundsätzen unmoralisch verhalten. Ein Beispiel liefert hier der Erzie­hungstheoretiker und Philosoph Rousseau, der seine eigenen fünf Kin­der ins Findelhaus brachte, weil sie ihm zu laut waren und zu hohe Kosten verursachten (Weischedel, S. 194).

Die zweite Feststellung war, daß unter den auch ganzheitlich handeln­den Personen keine Gemeinsamkeiten in deren Biographien sichtbar wurden. So könnte man vermuten, daß biographische Besonderheiten wie etwa eine starke soziale Ausrichtung im Elternhaus, viele Geschwister oder Gelegenheiten zu Weltreisen für ein ganzheitliches Leben för­derlich sind. Solche Besonderheiten fanden sich jedoch jeweils nur bei einzelnen Personen, bei der Mehrheit der anderen aber nicht. So stammten Sokrates oder Fichte aus einfachen, armen sozialen Verhält­nissen, Platon oder Prigogine aus Aristokratenfamilien; einige waren Einzelkinder, andere hatten viele Geschwister; einige sind während ihres Lebens viel gereist (Descartes, James, Galton, Kübler-Ross), an­dere haben kaum je die Stadt ihres Wirkens verlassen (Kant). In eini­gen Biographien zog sich der ganzheitliche Ansatz durch das ganze Leben, bei anderen konnte ein radikaler Wandel im Laufe des Lebens hin zu ganzheitlichem Denken und Handeln ausgemacht werden, etwa bei Theodor Fechner oder Ludwig Wittgenstein. Doch konnten auch hier keine einheitlichen Auslöser für solche Persönlichkeitswandlungen ge­funden werden. Bei Fechner war es z.B. eine schwere Krankheit, bei Wittgenstein die tiefe Unzufriedenheit mit dem Universitätsleben seiner Zeit (er gab sein Lehramt in Cambridge mit der Begründung auf, daß er "die absurde Stellung eines Philosophieprofessors als eine Art Lebendig-Begrabensein" empfände, Weischedel, S. 353).

Die Tatsache, daß wir keine durchgängigen Muster in den Biographien dieser Personen fanden, läßt wenigstens zwei verschiedene Interpreta­tionen zu:

 

1.   Es gibt entsprechende Muster. Wir haben sie jedoch angesichts der mangelnden Systematik und Repräsentativität unserer "Studie" nicht finden können.

2.    

3.   Ob eine Person zu ganzheitlichem Leben findet, hängt nicht in ent­scheidendem Maß von den biographischen Besonderheiten ab, son­dern vor allem von ihrer freien Entscheidung, ein ganzheitliches Leben anzustreben.

Welcher dieser Interpretationen man stärker zuneigt, hat nicht nur Konsequenzen für die wissenschaftliche Analyse, sondern auch für das eigene Leben: Interpretation 1 geht implizit von einem vollständig de­terministischen Weltbild aus, in dem man für jedes Phänomen, also auch für das des ganzheitlichen Lebens, eine Ursache finden kann, im gege­benen Fall in biographischen Besonderheiten, die eben das Phänomen bewirken. Diese Interpretation ist gleichzeitig ein Freibrief für die Rechtfertigung beliebigen eigenen Verhaltens: Ich bin halt so geworden, wie ich es aufgrund meiner biographischen Umstände werden mußte.

Ganz anders Interpretation 2: Neigt man dieser zu, so lädt man damit die volle Verantwortung für sein gesamtes Tun und Lassen auf sich. Ob

ich mich z.B. im Umweltschutz engagiere oder etwa auf einen Urlaubsflug auf die Malediven wegen der Kerosinverbrennung mit dem entspre­chenden CO2-Ausstoß verzichte, hängt schlicht davon ab, ob ich es will oder nicht will. Die Verantwortung für diese Entscheidung liegt bei mir und sonst nirgends auf der Welt.

2. Schriftliche Befragung

2.1. Befragte und Fragen

Motiviert durch die Tragweite, die eine Entscheidung zwischen den bei­den Interpretationen auch für uns persönlich mit sich bringen wurde, beschlossen wir, die lebenden Personen, denen wir ganzheitliches Den­ken und - soweit uns darüber Informationen vorlagen - auch Handeln zuschrieben, schriftlich zu diesem und verwandten Problemen zu befra­gen. Hierbei handelt es sich um die folgenden 13 Personen (in Klam­mern maximal zwei der Tätigkeitsfelder jeder Person):

Dürr, Hans-Peter (Physiker und Umweltforscher, geb. 1929)

Eysenck, Hans-Jürgen (Psychologe, geb. 1916)

Ferguson, Marylin (Publizistin und Schriftstellerin, geb. 1938)

Hilgard, Ernest (Chemiker und Psychologe, geb. 1904)

Houston, Jane (Philosophin und Historikerin, geb. 1939)

Illich, Ivan (Priester und Theologieprofessor, geb. 1926)

Jungk, Robert (Zukunftsforscher und Kulturkritiker, 1913-1994)

Kübler-Ross, Elisabeth (Medizinerin und Sterbeforscherin, geb. 1926)

Kuhn, Thomas (Physiker und Wissenschaftshistoriker, geb. 1922)

McClelland, David (Psychologe, geb. 1917)

Prigogine, llya (Chemiker und Wissenschaftstheoretiker, geb. 1917)

Richter, Horst Eberhard (Arzt und Psychoanalytiker, geb. 1923)

Weizsäcker, Carl Friedrich (Physiker und Philosoph, geb. 1912)

Wilber, Ken (Biochemiker und Psychologe, geb. 1949)

Zimbardo, Philip (Psychologe, geb. 1933)

An diese Personen wurde der folgende Brief in deutscher bzw. engli­scher Fassung geschickt.

 

Lieber Herr/ Liebe Frau                                                                    Göttingen, den 26.9.1995

Wir sind Psychologen aus Göttingen und wenden uns an Sie, weil wir Rat suchen. Die Entwicklungen auf unserer Welt wie etwa die Wachs­tumsdoktrin der westlichen Welt beunruhigen uns. Seit einiger Zeit denken wir darüber nach, wie wir zur Veränderung solcher irriger Entwicklungsleitlinien beitragen können. Dabei sind wir an einen Punkt gekommen, an dem wir nicht weiter wissen. Wir möchten Ihnen kurz schildern, wie es dazu kam.

Wir glauben, daß viele erschreckende Dinge, die zur Zeit passieren, auf eine einfache Ursache zurückgeführt werden können: Eine große Zahl von uns Menschen nimmt die große Verantwortung, die jeder von uns für die Zukunft des Ganzen zu tragen hat, nicht wahr. Zu viele von uns sind der Meinung, ein einzelner könne den Lauf der Dinge ohnehin nicht beeinflussen. Viele andere unter uns sehen oder ahnen vielleicht Möglichkeiten, schlimme Entwicklungen zu verändern. Sie nutzen diese aber nicht, weil in ihrem Wertgefüge die Zukunft der Welt einen zu geringen Stellenwert hat gegenüber individuellen Belangen.

Aus dieser Überlegung haben wir den Schluß gezogen, daß ein mögli­cher Beitrag zu einer friedlicheren Zukunft in folgendem besteht: Im­mer mehr von uns sollten die persönliche Verantwortung für die Zu­kunft unserer Kinder, unserer Welt erkennen und nach Möglichkeiten suchen, um gegenwärtige, offensichtlich unselige Entwicklungsleitlinien zu verändern.

Zudem sind wir davon überzeugt, daß das Engagement für ein friedli­ches Zusammenleben nicht etwa nur eine persönliche Last darstellt, welche die individuelle Lebenslust und -freude mindert. Im Gegenteil: Wer Lebensziele auch in dieser Richtung verfolgt, wird ein weitaus größeres Ausmaß an persönlichem Glück erleben können, als es das Er­reichen der heute üblichen, auf individuellen materiellen Konsum ausge­richteten Lebensziele der westlichen Gesellschaften bieten kann.

Was können wir nun konkret dafür tun, daß immer mehr von uns an diesem Weg teilhaben? Wir sehen eine pessimistische und eine optimisti­schere Antwort auf diese Frage: Die erste lautet: Wer die beschriebenen Ansichten teilt, kann nichts weiter tun, als selbst entsprechend dieser Ziele zu leben. Versuche einer Agitation anderer für diese Ziele sind illusionär. Das gescheiterte Sozialismusexperiment stützt diese Antwort. Doch vielleicht hatten die Agitatoren friedlicher und gerechter Gesell­schaften nur deshalb bislang keinen durchschlagenden Erfolg, weil die einflußreichen unter ihnen das propagierte Modell des friedlichen Zusammenlebens nicht selbst gelebt haben und somit unglaubwürdig waren. Man könnte hier an Marx' familiären Unfrieden denken oder an das goldene Klosett des Realsozialisten Georgescu in Rumänien, einem der ärmsten Länder Europas.

Deshalb halten wir auch eine zweite Antwort, die mehr Raum für Opti­mismus birgt, für denkbar: Wer die vorliegenden Ansichten teilt und entsprechend lebt, kann und soll aktiv für diese Idee werben, mit allen Mitteln, die jeweils zur Verfügung stehen. Somit könnte vielleicht die kritische Menge an veränderungswilligen Menschen bald erreicht wer­den, um zu einem friedlichen Leben in einer lebenswerten Umwelt zu finden.

Wir neigen mehr der zweiten Antwort zu. Wir glauben, daß ein passives Warten auf die Zeit "x", zu der genügend Menschen spontan aus den gegenwärtig eingeschlagenen Wegen in die Zukunft ausbrechen, keine gute Wahl ist. Wir wollten deshalb nach Bedingungen suchen, die es uns Menschen ermöglichen oder erleichtern, zu der beschriebenen ganzheitlichen und optimistischen Sicht zu finden.

Unser erster Schritt bestand darin, Biographien bekannter lebender und historischer Persönlichkeiten zu lesen. Wir fanden darunter einige, die die hier beschriebene ganzheitliche Sicht vertreten bzw. vertreten haben. Wir haben gehofft, Gemeinsamkeiten in deren Lebensläufen zu finden, die als förderliche Bedingungen zur Entstehung dieser Sicht­weise hätten verstanden werden können. Leider haben wir keine ge­funden. Diese Personen stammen aus verschiedenen sozialen Verhältnis­sen und haben ganz unterschiedliche Bildung und elterliche Förderung erfahren. Dieser erste, einfache Schritt hat uns somit nicht weiterge­bracht bei unserer Suche nach einer Antwort auf die Frage, was wir konkret tun können, um die Idee der ganzheitlichen Sicht aktiv zu fördern.

Sie haben durch Ihr Leben und Ihre Publikationen eine ganzheitliche Sicht entwickelt, die uns richtungsweisend scheint. Darum möchten wir Sie nach Ihren persönlichen Erfahrungen auf diesem Weg fragen, um die Lösung des uns bewegenden Problems ein Stück vorantreiben zu können. Am meisten interessiert uns Ihre Meinung zu den folgenden Fragen:

 

1. Was hat Sie persönlich dazu gebracht, diesen Weg zu gehen? Waren es bewußte Reflexionen? Gab es eine Art "Wendepunkt" in Ihrem Le­ben? Hatten Sie Vorbilder oder waren Gespräche mit anderen ausschlaggebend für Ihren Weg? Oder sahen Sie sich nie vor die Wahl zwischen Alternativen gestellt?

2.  War Ihnen Ihr Engagement, wenn Sie einmal Bilanz ziehen, mehr Last oder mehr Lust?

3.  Glauben Sie, daß man mehr tun kann, als selbst diesen Weg zu ge­hen und auf Ausstrahlung zu hoffen?

4.  Wenn Sie das bejahen, was können, was sollten wir von der jünge­ren Generation tun?

Wir würden uns sehr freuen, Ihre Meinung zu einigen dieser Fragen zu erfahren.

Mit bestem Dank für Ihr Interesse

 

2.2. Antworten

Wir erhielten sieben Antworten, deren Wortlaut wir im folgenden in al­phabetischer Reihenfolge wiedergeben:

Hans-Peter Dürr, München, 5. 8. 1996:

Ihr Brief vom 28. September letzten Jahres ist am Grunde meines hohen Postberges hängen geblieben, weil ich damals nicht gleich Zeit gefun­den habe, auf Ihre Fragen angemessen zu antworten. Heute will ich aus dem Stand versuchen, Ihnen kurz Ihre vier Fragen zu beantworten.

Wesentlich waren für mich meine Kriegserlebnisse, mein Amerikaauf­enthalt, während dem ich mit meiner Vergangenheit auf sehr kon­struktive Weise konfrontiert wurde, und schließlich ganz bestimmt die soziale Ausrichtung meiner Familie. Ich habe in einem Artikel kürzlich zum 20. Todestag von Hannah Arendt einige dieser Dinge geschildert, weshalb ich diesen zur Erläuterung beilege (Dürr, 1995).

Engagement hat für mich immer Lust bedeutet. Schwieriger ist diese Antwort im Zusammenhang mit Fragen, deren Lösung eigentlich zu schwierig ist, oder die sogar als unlösbar erscheinen. Trotzdem bin ich als Physiker gewohnt, vor unlösbaren Fragen nicht sofort zu­rückzuschrecken. Ich habe auch immer eine gewisse Freude daran gehabt, in einem Tunnel weiterzugehen, ohne das Licht am anderen Ende schon zu sehen. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, daß, wenn man lange genug geht, doch irgendwie Licht in Erscheinung tritt.

Das persönliche Vorbild hat ganz bestimmt große Bedeutung. Trotz­dem glaube ich, daß wir schwierige Fragestellungen auch etwas sy­stematischer angehen müssen, um größere Wirkungen zu erzielen. Wir müssen gewissermaßen katalytisch vorgehen. Das bedeutet, daß wir bei dem Versuch zur Änderung sehr genau die augenblickliche Situation studieren und auch den geeigneten Zeitpunkt für mögliche Eingriffe mit ins Kalkül einbeziehen. Ich habe den Eindruck, daß sich für Änderungen immer nur kurzzeitig eine Tür öffnet. Verpaßt man diese kurzen Zeiten, so läuft man meistens mit dem Kopf gegen eine Wand. Das bedeutet aber nicht, daß dies auch ganz nutzlos ist. Türen öffnen sich nur, nachdem genügend Leute erfolglos gegen sie gelaufen sind. Deshalb sind auch Niederlagen in Erreichung eines angestrebten Ziels nur in ganz wenigen Fällen Niederlagen im allge­meinen. Um Wasser zum Sieden zu bringen, ist es einfach notwendig, daß sehr viele Menschen das Wasser erwärmen, selbst wenn es erst bei 40 Grad ist. Ihre gemeinsame Anstrengung wird das Wasser eines Tages auf 99.9 Grad bringen, und ein weiterer Beitrag wird dann den ersehnten Erfolg zeitigen. Derjenige, der diesen Erfolg bewirkt, ist aber nicht die eigentliche Ursache, sondern letztlich nur der Auslöser. Ziele müssen hoch gehängt sein, so wie etwa der Polar­stern, daß man ihn auch sieht, wenn man im Tal und nicht nur auf der Höhe ist. Polarsterne werden nicht erreicht, sie dienen zur Ori­entierung. Deshalb sind Utopien der erste Schritt, um die Zukunft gestalten zu können.

Es ist schwierig, konkret zu sagen, was eigentlich getan werden muß. Selbstverständlich könnte hier eine Reihe von Empfehlungen gegeben werden. Ich will mich aber auf einige grundsätzliche Emp­fehlungen beschränken. Wesentliche Voraussetzung für Erfolg ist immer ein gutes Selbstbewußtsein. Es ist wichtig, daß wir Neues probieren. Was wir brauchen, ist eine grobe Orientierung und die Bereitschaft, uns in dieser Richtung im Sinne von Versuch und Irrtum zu bewegen. Die Zukunft ist offen. Sie ist deshalb gestal­tungsfähig. Was passiert, hängt von jedem von uns einzelnen ab. Ein im eigentlichen Sinne Realist ist deshalb jemand, der weiß, daß die Zukunft anders sein wird als die Vergangenheit. Wer sich ge­wöhnlich Realist nennt, ist eigentlich jemand, der die Zukunft immer nur durch den Rückspiegel sieht. Auf diese Weise wird die Zukunft notwendig eine Fortschreibung des Vergangenen und entbehrt des­halb jeder grundlegenden Neuerung. Um große Probleme zu lösen, ist es notwendig, daß wir klein und lokal anfangen. Nur dort entwickeln wir die notwendige Kraft und Stärke und besitzen den aus­gleichenden überblick, der für unsere erfolgreiche Manipulation wichtig ist. Zur Orientierung sollte man nicht nur seinen Verstand verwenden, sondern sollte von der dem Menschen eigenen, mehr holistischen Wahrnehmungsfähigkeit Gebrauch machen. Denn in einem gewissen Sinn besteht eine prinzipielle Komplementarität zwischen Exaktheit und Relevanz. Wer Dinge scharf sehen will, verliert den Zusammenhang. Es scheint mir außerordentlich wichtig, daß wir künftig wieder besser sehen, daß der Mensch ein Teil der Natur ist und sich deshalb nicht ohne Schaden für sich selbst über sie hin­wegsetzen kann. Das Gewahrwerden der Eingebundenheit in die grö­ßere Natur steht nicht im Widerspruch zur Emanzipation des Men­schen, die ihm ermöglicht, schöpferisch im echten Sinne zu sein.

Hans-Jürgen Eysenck, London, 23. 11. 1995

Thank you for your letter. I very much sympathize with your problem and at your age very much felt the same, although perhaps with better cause - Hitler was imminent at the time! I think, in principle, serious young people feel a responsibility for the fate of the world that they tend to lose as they come to grips with the problem of their own fu­ture, but it certainly is an attitude to be encouraged. However, one does begin to realize as one gets older how very little any one person can do to alter events in one's own country, leave alone the rest of the world. Unfortunately genetic factors play such a large part in what people do that even if one could change environmental conditions, they also still could be dubious.

You ask a number of questions, and I think I can best answer them by sending you a copy of my autobiography. Your final question is what those who belong to the younger generation could or should do. I think, if you really want to influence events, you must turn to politics; unfortunately the people who go into politics are usually those who should be least trusted to guide the fate of the world! An alternative, I think, would be to equip yourselves well for the career you are contemplating, and then turn your abilities and your expertise in the direction of improving the fate of those you come in contact with. I am sure, for instance, that by helping propagate behaviour therapy I have done more good to more people than I could have done had I gone into politics.

 

Ernest Hilgard, Stanford, California, 15, 11. 1995:

While I was still an undergraduate at the University of Illinois in the 1920s, I became acquainted with Dr. Hary Emerson Fosdick, a professor of practical theology at the Union Theological Seminary in New York. He was very kind to me in obtaining a fellowship that supported the costs of my graduate studies toward the PH.D. at Yale University. His liberal theology, expressed in a number of popular books, did much to shape my philosophy of life. I became a Fellow of the Society for Values in higher education, an affiliation that meant a great deal to me over a number of years. These commitments were enjoyable to me and I never felt them as a burden.

Thomas Kuhn. Cambridge, Massachusets Institute of Technology, 28.11.1995:

Auf Bitte von Jehane Kuhn, der Witwe des inzwischen verstorbenen Thomas Kuhn, drucken wir Kuhns Antwort hier nicht im Wortlaut ab. Kuhn teilte in seinem Schreiben unsere Beunruhigung über die gegen­wärtigen Entwicklungen, fand allerdings die von uns angedeuteten Handlungsmöglichkeiten oberflächlich. Alternativen dazu werden nicht genannt. Sein eigenes Leben schätzt Kuhn nicht als ganzheitlich ein.

Ilya Prigogine, Brüssel, 22.11.1995:

Thank you very much for your interesting letter. You are asking me very complex questions and because of overcrowding and lack of time it is just too difficult for me to answer by writing. But I shall be glad to speak of these problems if one of you could come at some occasions to Brussels.

Horst-Eberhard Richter, Gießen, 4.10.1995:

Über Ihren Brief habe ich mich sehr gefreut. Wenn ich Sie richtig ver­stehe, geht eine Hauptfrage von Ihnen dahin, ob Engagement auf die Dauer mehr Freude einbringen kann oder vielleicht durch die Belastun­gen und Widerstände verhärtet. Das ist schwer allgemein zu beantwor­ten. In den 70er Jahren schien es so, als sei fast die gesamte junge Generation darauf aus, sich durch soziales Engagement Befriedigung zu verschaffen. Es gab tausende von Projekten für eine neue Erziehung (Kinderläden), für psychisch Kranke, Behinderte, Obdachlose, Straffäl­lige. Überall wurde für mehr Mitbestimmung gestritten. Und tausende von jungen Leuten zogen in die Dritte Welt, um dort zu helfen bzw. auch Befreiungsbewegungen zu unterstützen. Die allermeisten waren mit dem Herzen dabei. Eine ähnliche Aufbruchstimmung kam dann nochmal in der Grünen Bewegung und in der Friedensbewegung auf. Aber nur Minderheiten aus den damaligen Basisinitiativen haben innerlich durch­gehalten, als das Klima allmählich umschlug. Von der nachwachsenden Jugend wurde der Zufluß zu diesen Bewegungen spürbar geringer. Man sieht daraus, daß viele sich in einem günstigen Klima bei der Beteili­gung an sozialen oder ökologischen Initiativen sehr wohl fühlen, aber damit aufhören, wenn solches Engagement nicht mehr "in" ist. Es ge­nügt ihnen nicht das stützende Gemeinschaftsgefühl in aktiven Grup­pen, sondern es drängt sie, sich an den Zeitgeist, so wie er von den Medien vermittelt wird, anzupassen. Es gibt auch Kämpfertypen, die nur so lange durchhalten, als sie sich an einem Feindbild abarbeiten können. Sie sind nur durch ein innerliches "Anti" motiviert, wobei viele junge Männer vornehmlich ihren Vaterprotest abarbeiten und, wenn sie älter werden, nicht selten von einer antiautoritären in eine eher auto­ritäre Position überwechseln. Mir scheint, in der Motivation ist ganz wichtig, ob man sich eher für das Leben, für Menschen, für die Natur engagiert oder primär gegen Machtgruppen der Wirtschaft, der Politik, des Militärs. Dieses "Für" hat etwas mit Liebe zu tun, die sich als Lust bemerkbar macht, Menschen zu helfen, Konflikte zu lösen, Natur zu er­halten usw. Diese "Pro-Haltung" hilft dabei, Rückschläge und Niederla­gen auszuhalten. Aber für mich war auch immer wichtig, im Engagement Gemeinsamkeit mit Menschen zu spüren, die mir Vorbild waren (Willy Brandt etwa) oder die zumindest mit mir in der gleichen Richtung dachten und fühlten, was ich übrigens auch in der eigenen Zweierbe­ziehung seit Jahrzehnten erlebt habe.

Ein sehr wesentlicher Punkt ist dann auch die persönliche Wider­standskraft gegen Anfeindungen, Verleumdungen und Demütigungen. Wer sich kritisch engagiert, mag zumal in günstigem Klima ermutigende Wertschätzung erfahren, entgeht indessen niemals auch den Gegenreak­tionen bis hin zu konkreten sozialen Benachteiligungen. Deshalb werden auch viele zu opportunistischen Konformisten, wenn sie in ihren sozia­len Strukturen von Vorgesetzten, anderen maßgeblichen Autoritäten oder einer ihnen wichtigen Gemeinschaft eine Herabsetzung oder gar Ausgrenzung befürchten. Da muß dann vielleicht auch manches Leid durchgestanden werden. Aber es kann auch große innere Freude be­reiten, wenn jemand sich sagen kann, daß er seiner Überzeugung treugeblieben ist, und er oder sie wird dann auch immer solche finden, die sich gerade in Krisen freundschaftlich bewähren. Gerade in Nieder­lagen zeigt sich die Bindungskraft der gemeinsam gesteckten Ziele.

Zur Zeit sind die Verhältnisse schwieriger als 1968. Damals glaubte die Jugend noch, daß genügend Arbeit für sie da sei, und die fortschrei­tende Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen war für sie noch Thema. Durch Veränderungen der gesellschaftlichen Machtstrukturen sollte allen eine Befriedigung ihrer sozialen Bedürfnisse in Freiheit und sozialer Gerechtigkeit ermöglicht werden. Inzwischen ist die Hoff­nung, von unten aus die Kräfte des globalisierten Kapitalismus zu bre­chen, der die Massen der sozialen Verlierer stetig anwachsen läßt, ei­ner verbreiteten resignativen Ohnmacht gewichen. Daß die rein kom­merziell gesteuerte technologische Revolution vor Überschreitung des sozial und ökologisch Verantwortbaren bewahrt werden könne, wird kaum noch geglaubt. So haben z.B. Elmar Brähler und ich in einer re­präsentativen Ost-West-Studie ermittelt, daß die Mehrheit der unter 24jährigen in Ost und West eine fortschreitende Verschlechterung der sozialen Lebensbedingungen erwartet und es für unwahrscheinlich hält, daß die Umweltzerstörung noch gestoppt werden kann. Solche Bedro­hungsphantasien, wieviel davon auch immer verdrängt sein mag, rauben zweifellos vielen den Mut zu einem Engagement, das ich an positive Vi­sionen knüpfen möchte.

Warum ich noch immer daran glaube, daß in uns Kräfte zu einer positi­ven Wende stecken, kann ich nur schwer erklären. Immanuel Kant hat seinerzeit seinen Glauben an eine positive Entwicklung daran geknüpft, daß die Nachbarvölker mit Begeisterung auf die Ideale der französi­schen Revolution reagiert haben. Er sagte: Die Revolution mag scheitern und in Blut und Gewalt untergehen, aber allein die psychische Zünd­kraft ihrer Ideale beweist so etwas wie eine anthropologische morali­sche Anlage, die auf lange Sicht - trotz aller Rückschläge - zum Posi­tiven hinwirkt. Heute würde man in den Medien eine solche Einschät­zung sicherlich überwiegend als blauäugige Romantik oder gar als Gut- menschen-Kitsch abtun. Mir scheint, solche zynischen Reaktionen spie­geln eher eine Abwehr von heimlicher Verzweiflung. Es gibt so etwas wie eine resignative Selbstentmündigung - so als seien die Eigendyna­mik der kapitalistischen Verdrängungsenergien und der naturblinden technologischen Revolution nicht mehr von Menschen zu bändigen. Die Widerstandskraft kann nur von Menschen kommen, die an diesen Entmündigungszwang nicht glauben. Ich habe mein Credo in einem gerade fertig geschriebenen Buch Albert Einstein in den Mund gelegt, den ich im Himmel mit den unsterblichen Seelen von Platon, Buddha, Konfuzius, Augustinus, Descartes, Marx und Freud habe darüber beraten lassen, wie es auf der Erde noch weitergehen kann und soll. Einsteins Resümee lautet lapidar: Will der Mensch die Zukunft seines Geschlechtes sichern, sehe ich die einzige Chance darin, daß er zwei ganz einfache Einsich­ten endlich praktisch beherzigt: daß sein Schicksal mit dem der Mit­menschen in allen Teilen der Erde unlösbar verbunden ist und daß er zur Natur und diese nicht ihm gehört.

Ich meine, es lohnt sich wie eh und je, für die Beherzigung dieser beiden einfachen und überzeugenden Einsichten zu werben. Mich selbst haben die Beispiele großer Humanisten immer wieder vor dem Verzagen bewahrt.

Walter Spielmann (Mitarbeiter des verstorbenen Robert Jungk), Salz­burg, 9.10. 1995

Sie werden verstehen, daß ich als Robert Jungks langjähriger Mitar­beiter zwar in der Lage bin, in seinem Sinne zu antworten, aber na­türlich nicht en detail darauf eingehen kann, was er zu Ihren Fragen gesagt haben könnte. Ich bin sicher, in seinem Sinne zu antworten, wenn ich Ihre Analyse teile und zugleich darauf hinweise, wie sehr Ro­bert Jungk immer wieder und unermüdlich für die Ermutigung und das (politische) Engagement jedes Einzelnen geworben hat. Das Modell der Zukunftswerkstätten steht dafür (am besten kennenzulernen in einem Handbuch von R. Jungk und N. Müllert, 1989), und die Vitalität, mit der eine wachsende Zahl von Menschen sich dafür einsetzt, sollte Mut ma­chen. Ich denke, daß einige Ihrer Fragen auch durch die Autobiogra­phie von Robert Jungk selbst beantwortet werden (Jungk, 1994).

Carl Friedrich v. Weizsäcker, Starnberg, 18. 10. 1995:

Sie stellen mir Fragen, die ich gerne versuche, soweit ich eben fähig bin, zu beantworten.

1. Was hat mich persönlich dazu gebracht, meinen Weg so zu gehen, wie ich ihn gegangen bin? In gewisser Weise war das schon in der Kindheit entschieden. Ich stamme aus einer Familie, in der man Poli­tik als Beruf kannte. Mein Vater war, als ich zum Bewußtsein für diese Dinge etwa im Alter von 10 Jahren erwachte, deutscher Diplo­mat. Es ging ihm damals in der Zeit nach dem verlorenen ersten Weltkrieg um den Frieden in Europa, gerade nicht um Rache an den siegreichen Gegnern, sondern um Verständigung mit ihnen. Andererseits war mein persönliches, elementares Interesse in jenem Alter bereits die Naturwissenschaft. Ich wollte zunächst Astronom werden, wurde dann, als ich noch nicht fünfzehnjährig, Werner Heisenberg kennenlernte, Physiker. Wie beide Anliegen zusammenhingen, wurde mir in meinem eigenen wissenschaftlichen Leben klar. Einundzwan­zigjährig wählte ich als junger theoretischer Physiker die damals moderne Kernphysik zu meinem Studiengegenstand aus reinem neu­gierigen Sachinteresse. Das war 1933. 1938 im September entdeckte Hahn ebenso aus reinem Sachinteresse die Uranspaltung, und kurz nachher wußten rund zweihundert Kernphysiker in der ganzen Welt, daß infolge der Uranspaltung Kernwaffen möglich werden würden und auch Kernreaktoren. Damit aber sah man, daß das reine wissen­schaftliche Forschen uns unausweichlich vor moralische Fragen von höchstem Gewicht stellt und eben moralische Fragen, die einer poli­tischen Realisierung bedürfen.

Mein Engagement war, wenn ich Bilanz ziehe, mir gewiß im Grunde mehr Lust als Last. Zwar habe ich die Probleme, mit denen ich mich dabei abgab, sehr wohl als große Last empfunden, aber ich hätte die Last noch größer gefunden, wenn ich mich darum gedrückt hätte, mich darum zu kümmern.

Es ist gewiß besser, einen Weg, den man für gut hält, zu gehen und auf Ausstrahlung zu hoffen, als sich gar nicht um diese Fragen zu kümmern. Man kann aber insofern mehr tun, als man seine Mit­menschen überzeugt, diese Fragen ebenso ernst zu nehmen. Ich gebe ein Beispiel. Es ist heute häufig üblich, Politiker für das Un­heil verantwortlich zu machen, das immer wieder in der Menschheit auftritt. Ich kenne aber eine Reihe von Politikern, die sehr wohl über diese Fragen Bescheid wissen, die aber auch wissen, daß, wenn sie das sachlich Notwendige tun, sie in der Demokratie die nächste Wahl verlieren werden und in der Diktatur keine Chance zur Beein­flussung der führenden Leute haben würden. Also ist es höchst notwendig, um nun von der Demokratie zu reden, daß man die Wahl gewinnt, wenn man das sachlich Notwendige tut. Dazu muß die öf­fentliche Meinung belehrt werden, und das kann jeder Wissen­schaftler tun, wenn es ihm ernst damit ist.

Was Sie in der jüngeren Generation im einzelnen tun sollen, würde man wohl nur in einem persönlichen Gespräch sich klar machen kön­nen, aber daß Sie versuchen, den Weg zu gehen, den ich in meinen vorigen Antworten angedeutet habe, das scheint mir doch gut und nützlich.

2.3. Resümee

Zunächst läßt sich konstatieren, daß auf mehr als 50% unserer An­schreiben geantwortet wurde. Eysenck, Spielmann bzw. Jungk, Kuhn und Richter drücken ihre Zustimmung zu der im Brief angedeuteten Sicht auf die Probleme unserer Zeit explizit aus. Darüber hinaus sym­pathisiert die Mehrzahl der antwortenden Personen mit dem Anliegen des Briefes. Eine Ausnahme bildet hier Thomas Kuhn, der die im Brief dargelegten Gedanken von uns als "oberflächlich" einschätzt. Leider werden keine klaren Alternativen genannt. Auch ist Kuhn der einzige Antwortende, der unsere Einschätzung eines ganzheitlichen Lebens für sich ablehnt. Das hat uns erstaunt, da wir seinen Beitrag zur "Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" (1969) für einen wesentli­chen Schritt halten, die potentielle Beschränktheit unserer aktuellen wissenschaftlichen Bemühungen zu erkennen, was wir für eine Voraus­setzung für die Überwindung der elementaristischen Sicht hin zur ganzheitlichen sehen. Durch Kuhns Werk wissen wir heute, daß wir uns eben nicht wie "Kuhnsche Schlafwandler" zu verhalten brauchen (Prigogine 1989, S. 185), die auf die nächste Revolution warten, sondern daß wir notwendige Veränderungen selbst herbeizuführen haben.

Kommen wir zu dem uns als Psychologen besonders interessierenden Problem, für das wir die Antworten auf die erste Frage des Anschreibens heranziehen können ("Was hat Sie zu Ihrem Weg gebracht?"). Fin­den sich in den biographischen Hintergründen der angeschriebenen Personen Gemeinsamkeiten, die zur ganzheitlichen Sicht geführt haben oder finden sich keine? Dann würde man, sofern man keinen strengen biographischen Determinismus annimmt, wieder die Alternativannahme gestützt sehen, nach der primär bewußte willentliche Entscheidungen zum ganzheitlichen Denken (und Handeln) geführt haben. Wir meinen, daß anhand der Briefe wieder keine klare Entscheidung zwischen den Annahmen möglich ist.

Zumindest zeigt sich bei zwei der ausführlicheren Antworten (von Weiz­säcker und Dürr) eine gewisse Übereinstimmung: Beide sehen in den politischen Umständen, die während ihrer Jugendzeit herrschten, und in ihrem familiären Umfeld wesentliche Ursachen für ihren Lebensweg, ihr Denken und Handeln; die anderen berichten entsprechendes jedoch nicht. Hilgard und Richter nennen Vorbilder, die anderen äußern sich hier nicht deutlich.

Eysenck und Richter, selber Psychologen, antworten nicht nur auf die konkret gestellten Fragen, sondern deuten Antworten auf unser psy­chologisches Problem an. Wie kommen Menschen zu ganzheitlichem Le­ben? Eysenck glaubt, die Verantwortlichkeit für das Schicksal der Welt sei vor allem bei jüngeren Menschen "im Prinzip" stark ausgeprägt, würde sich aber mit zunehmendem Alter langsam verlieren. Dieser Trend wird mit genetischen Faktoren in Verbindung gebracht. Dies halten wir für eine recht pessimistische Sicht. Richter bringt das En­gagement für ganzheitliche Ideale mit dem kulturellen Klima, dem Zeit­geist in Verbindung. Warum aber dieses Klima Ende der 60er Jahre günstiger für entsprechendes Engagement war, als es heute ist, bleibt für uns dabei eine offene Frage. Wodurch, von wem wird der Zeitgeist bestimmt? Aus Richters Brief lesen wir dennoch insgesamt eine optimi­stische Position heraus, die Mut macht, sich in jeder Zeit für positive Utopien, auch gegen den Zeitgeist, zu engagieren.

Bei den Fragen zwei bis vier unseres Anschreibens herrscht teils Kon­sens, teils Dissens in den Antwortschreiben:

Zur Frage zwei ("Engagement als Last oder Lust?") sind sich die Per­sonen, die auf sie explizit eingehen, einig, daß das Engagement eher Spaß gemacht hat und nicht ausschließlich als Last betrachtet wurde. Von Weizsäcker gibt hier sehr deutlich zu verstehen, daß er sich durch sein Engagement zwar oft mit belastenden Problemen konfrontiert sah; sich aber deswegen mit ihnen gar nicht auseinanderzusetzen, hätte eine noch größere Last bedeutet. Bei Richter wird die Fähigkeit er­kennbar, selbst schwierigen Phasen positive Aspekte abzugewinnen. Dies ist dem weiteren Engagement und der eigenen Zufriedenheit na­türlich zuträglich. Darüber hinaus zeigt sich vor allem bei ihm, daß aus dem Umgang mit anderen Menschen sowie durch Vorbildfunktionen an­derer eigene Stärke bezogen werden kann. Die eindeutigsten Antworten kommen von Dürr und Hilgard, deren Engagement ihnen immer "Lust" bedeutete.

Bei Frage drei ("Kann man mehr tun, als selbst den Weg zu gehen?") herrscht ebenfalls Einigkeit in den Auffassungen, indem konkrete Akti­vitäten einzelner Individuen und der Versuch einer Einflußnahme auf andere unbedingt empfohlen werden. Richter orientiert sich an Vorbil­dern und wirkt sicher selbst in manchen Gruppen, in denen er sich engagiert, als Vorbild. Sehr wichtig sei dabei immer, der eigenen Überzeugung treu zu bleiben. Dürr macht deutlich, daß selbst einzelne Nie­derlagen auf dem Weg zu einem übergeordneten Ziel letztlich gewinn­bringende Beiträge zum Erreichen des Ziels liefern können. Insofern solle man bei Rückschlägen nicht frustriert aufgeben. Von Weizsäcker begründet sehr überzeugend, warum Einfluß auf andere zu nehmen sei, warum "die öffentliche Meinung zu belehren sei": Damit diejenigen Poli­tiker, die das sachlich Notwendige vorschlagen, auch gewählt werden. Lediglich Herr Eysenck gibt bei der Erfolgsabschätzung solchen Tuns deutlichem Pessimismus Ausdruck: Wenn man älter werde, erkenne man, wie wenig eine Person tatsächlich bewirken kann.

Zu Frage vier nach den Ratschlägen an die jüngere Generation kommen sehr unterschiedliche Ideen: Eine Karriere in der Politik (Eysenck) böte vielleicht größere Einflußmöglichkeiten als ein Wirken als Fachwissen­schaftler. Richter erwähnt implizit Engagement in verschiedenen Grup­pen als Möglichkeit, etwas zu bewegen; er zeigt sich auch erfreut über breites übernationales Engagement. Dürr betont die Bedeutung, kom­plexe Zusammenhänge beurteilen zu können und zu wollen. Ganz wichtig ist seiner Ansicht nach auch, daß der Mensch als Teil der Natur zu begreifen sei und sich nicht über sie hinwegsetzen könne. Damit plä­diert Dürr explizit für die ganzheitliche Sicht, wie wir sie eingangs mit Schweitzers Worten beschrieben haben und wie sie auch unten von Prigogine mit fast identischen Worten charakterisiert wird.

Zwischen den Zeilen wird bei mehreren Antworten deutlich, daß es ver­schiedene Faktoren gibt, die dazu beitragen könnten, sich einem ganz­heitlichen Leben anzunähern. Hierzu gehört ein Bewußtsein für wichtige Probleme, eine gewisse Kritikfähigkeit, aber auch Vertrauen in die ei­genen Überzeugungen. Dazu die Fähigkeit, sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen, sowie eigene Stärken zu erkennen, auszubauen und positiv anzuwenden. Dahinter soll natürlich stets der Wille und die Motivation zu persönlichem Engagement stehen.

Da die uns hauptsächlich interessierende Frage (biographische Bedin­gungen oder auch reflektierte Willensentscheidung als primäre Ursache für ganzheitliches Leben) uns nach wie vor offen schien, beschlossen wir, die Einladung von Herrn Prigogine anzunehmen und ihn in einem persönlichen Gespräch zu dem angesprochenen Fragenkomplex zu inter­viewen. Ein außerordentlich glücklicher Umstand war, daß Herr Prigo­gine ein geradezu prototypischer Vertreter ganzheitlichen Lebens zu sein scheint, wie in den folgenden Abschnitten genauer beschrieben wird.

 

3. Interview mit Ilya Prigogine

3.1. Biographische Angaben1 und Hauptgedanken

Ilya Prigogine wurde 1917 in Moskau in einer Aristokratenfamilie gebo­ren. Die Familie emigrierte nach der Revolution nach Belgien. Als jun­ger Mann interessierte sich Prigogine hauptsächlich für Philosophie, Kunst und Musik. Doch seine Eltern bestanden darauf, daß der Sohn einen "ordentlichen" Beruf erlernt. So begann Prigogine ein Jura-Stu­dium. Als er sich mit Kriminalstrafrecht beschäftigte, interessierte er sich für die Psychologie Krimineller. Das verfügbare Wissen schien ihm nur sehr oberflächlich zu sein. Unzufrieden damit, machte er sich Ge­danken über die physiologischen Mechanismen, die kriminellem Verhal­ten zugrunde liegen, und beschloß, Neurochemie zu studieren. Nachdem er sich an der Fakultät für Chemie eingeschrieben und das Studium begonnen hatte, erkannte er dieses leitende Erkenntnisinteresse als zu ehrgeizig und entschied sich, zunächst die Grundlagen der Chemie selbstorganisierender Systeme zu untersuchen.

Seit 1947 ist Prigogine als Professor an der Universität Brüssel tätig, wo er heute Direktor des Internationalen Instituts für Physik und Chemie ist. Seit 1967 ist er auch Direktor des nach ihm benannten In­stituts für statische Dynamik und Thermodynamik an der Universität Austin/Texas. 1977 wurde Prigogine der Nobelpreis für Chemie für seine Arbeiten zur Thermodynamik irreversibler Prozesse verliehen. Er er­hielt Ehrendoktorwürden von über 30 Universitäten mehrerer Konti­nente. Darüber hinaus ist er Mitglied vieler nationaler und internatio­naler wissenschaftlicher Akademien.

Die ursprüngliche Neugier nach komplexeren Zusammenhängen ließ Prigogine nicht los. Er näherte sich schrittweise der Erkenntnis, daß die Nicht-Vorhersagbarkeit im Verhalten einfacher Moleküle mit einigen Grundproblemen der Philosophie im Zusammenhang stehen und mit Fra­gen nach Willensfreiheit, nach Verantwortung zu tun haben könnte. Während die physikalischen Gesetze von Newton oder auch Einstein auf deterministische Zusammenhänge abzielen und somit Gewißheiten aus­drücken, die in Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen gültig sind, fand Prigogine in instabilen chemischen Systemen Prozesse, die sich nicht mit Sicherheit vorhersagen lassen und die, einmal geschehen, nicht rückgängig zu machen sind.

"Wenn man sagen kann, das Universum sei determiniert wie eine Art Automat, wie kann man dann gleichzeitig an die Idee der Verant­wortlichkeit glauben? Die gesamte westliche Philosophie war von die­sem Problem dominiert. Mir schien, wir hatten uns zu entscheiden zwischen einem wissenschaftlichen Standpunkt, der die humanisti­sche Tradition verleugnete, und der humanistischen Tradition, die das von der Wissenschaft potentiell zu erfahrende zerstört. Diesen Konflikt habe ich sehr deutlich gesehen, weil ich von den Humanwis­senschaften zur "harten" Wissenschaft kam. Doch was ich in der Thermodynamik gelernt habe, hat meinen philosophischen Standpunkt bekräftigt und mir die Energie gegeben, mich um eine tiefergehende Interpretation von Zeit, von den Naturgesetzen zu bemühen. So würde ich sagen, hat es einen Austausch zwischen dem humanisti­schen und dem wissenschaftlichen Standpunkt gegeben."

Diese Integration des humanistischen und des naturwissenschaftlichen Anliegens ist Prigogine gut gelungen. Er arbeitet heute mit der Philo­sophin Isabelle Stengers zusammen, mit der er verschiedene Publikatio­nen verfaßt hat. Prigogine hat nicht nur sein ursprüngliches Fachge­biet, die Chemie, um ein tieferes Verständnis der Thermodynamik berei­chert. Seine Ideen haben auch Verbreitung bei einer Vielzahl von Natur- und Geisteswissenschaftlern gefunden. Eine Reihe konkreter Ak­tivitäten in Prigogines Leben deutet darauf hin, daß Prigogines ganz­heitlicher Denkansatz sich auch in seinem wissenschaftlichen Handeln niederschlägt: Er hat über Jahrzehnte auf verschiedenen Kontinenten durch Forschungsaufenthalte Kooperationen zwischen Wissenschaftlern verschiedener Länder und Fachrichtungen gestiftet und so die Zusam­menarbeit zwischen Menschen verschiedener Rassen, Anschauungen, Pro­fessionen mit großer Energie gefördert. Forschungs- und Vortragsrei­sen führten ihn mehrmals nicht nur in die Länder des westlichen Kul­turkreises, sondern auch nach Indien, Japan und Rußland, nach China und Korea, wo Prigogine und seinem Gedankengut besonders starke Hochachtung entgegengebracht wird.

Prigogine forscht seit über 50 Jahren zu Themen wie "Rolle der Zeit im physikalischen Weltbild" und "Irreversible Prozesse der Thermodynamik - dissipative Strukturen". Bekannt geworden ist er hierzulande vor al­lem mit seinem wissenschaftstheoretischen Buch "Dialog mit der Natur" (1990), in dem er das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Naturwis­senschaften beschreibt. Dabei vertritt er die Auffassung, daß sich die Naturwissenschaften im Wandel befinden: Lag bisher der Schwerpunkt naturwissenschaftlicher Forschung auf der Untersuchung reversibler, wiederholbarer und determinierter Prozesse, stellt sich heute immer deutlicher heraus, daß damit nur einfache Grenzfälle des Weltgesche­hens abgebildet werden können. Die Regel sind indes unbestimmte und irreversible Vorgänge wie z.B. die Geschichte des Universums oder die Evolution des Lebens und des Menschen.

Damit ist nach Prigogine der gigantische Traum der klassischen Natur­wissenschaften gescheitert: Er bestand in der Hoffnung, mit einigen ewig gültigen und universalen Gesetzen das gesamte Weltgeschehen er­klären zu können. Nach der mechanistischen Weltsicht, die den klassi­schen Naturwissenschaften zugrundelag, ist die Welt jedoch eine Tau­tologie, denn alles, was passiert, ist in bestimmter Weise im Detail wie im Ganzen festgelegt. Durch diese Weltsicht mit ihrer Ignoranz der Ver­antwortung der Wissenschaft für die Zukunft hat sich in den letzten 150 Jahren die Wissenschaft zur Bedrohung unserer Existenz und Kul­tur entwickelt.

Heute, so Prigogine, beginnen wir immer klarer zu sehen, daß diese westliche Sicht mit der Leugnung von Mythos und Weisheit, mit ihrer Zersplitterung der Naturwissenschaften und deren Abgrenzung von den Sozialwissenschaften ein Irrweg war. Wir beginnen zu erkennen, daß größere Systeme über Eigenschaften verfügen, die wir durch Analyse ihrer Bestandteile nicht finden können, daß unsere Welt vor allem eine Welt des Werdens ist, in der die Zukunft sich nicht deterministisch aus Vergangenheit und Gegenwart ergibt. Die Natur ist kein Automat, son­dern Natur beginnt gerade dort, wo die deterministische Vorhersagbar­keit endet. Die Naturgesetze drücken nicht länger Gewißheiten aus, sondern Möglichkeiten ("The end of certitudes", Prigogine & Stengers, 1996). Bei der Konstruktion unserer Zukunft spielen wir selbst die ent­scheidende Rolle, und unsere Zukunft kann nur dann eine gute werden, wenn wir immer deutlicher begreifen, daß wir selbst Teil der Natur sind und nicht die neutralen Beobachter, als die sich die klassischen Wissenschaftler sahen. Jede Messung, jede wissenschaftliche Aktivität verändert die Wirklichkeit; alle berichteten wissenschaftlichen Daten sind Selektionen, gefiltert durch individuelle Standpunkte und entstan­den in historisch gewachsenen Weltsichten. Darum kann die Objektivität und Neutralität, die von der klassischen Wissenschaft dem Forscher abverlangt wurde, zum Hindernis werden, wenn Wissenschaft zur positi­ven Gestaltung unserer Zukunft etwas beitragen soll. Prigogine plädiert für die Re-Integration von Bereichen unserer Welt sowie unserer eige­nen Betätigungen, die durch die klassische Wissenschaft auseinanderge­rissen worden sind: Die künstlichen Grenzen zwischen Mensch und Natur sollen verschwinden, Politik, Ökonomie, Kunst, Philosophie und Naturwissenschaften sollen im Bemühen um eine gute Zukunft zusam­mengeführt werden. Um solche Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen, hat Prigogine mit einigen Kollegen konkrete Vorschläge gemacht (Wallerstein et al., 1995): So sollen Universitätsprofessoren zu 25 % ih­rer Lehr- und Forschungskapazität in einer auszuwählenden anderen Fakultät als der eigenen tätig sein, interdisziplinäre Forschungszentren sollen mit wechselnden Personalbesetzungen praktisch drängenden Fra­gen unserer Zukunft nachgehen.

Heute stehen wir nach Prigogine an der Schwelle dieser Wende in den Wissenschaften, die insgesamt zu einer Annäherung von Natur- und Geisteswissenschaften führen wird, zu einem wachsenden Sinn für die Solidarität mit der uns umgebenden Natur (vgl. Schweitzer, 1899) sowie zu neuen Lösungsansätzen für die gegenwärtigen globalen Probleme der Menschheit, welche zum Teil durch die bisherigen eingeschränkten Kon­zeptionen der Naturwissenschaften entstanden sind. Ein zentrales Pro­blem der mechanistischen Weltsicht bestand nach Prigogine in der falsch verstandenen Rolle der Zeit im Weltgeschehen: Für vollständig determinierte und zeitreversible Prozesse wie etwa die in der klassi­schen Naturwissenschaft untersuchten Bewegung des idealen Pendels, spielt die Zeit keine Rolle: Ob man bei der Beobachtung des Pendels die Zeit vorwärts oder (gedanklich) rückwärts laufen läßt (wie ein Video, das man zurückspult), spielt für die beobachteten Abläufe keine Rolle. Einstein brachte die Leugnung der Zeit auf den Punkt: "Für uns gläu­bige Physiker hat die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion." Gegen diesen nach Prigogines Sicht fundamentalen und für die ganze Menschheit folgenreichen Irrtum opponiert Prigogine seit Jahrzehnten mit schier endloser Energie: "I felt how difficult it is to accept science in which time is only an illusion. Such a conception brands unidirectio- nal change as an illusion. This makes the catastrophe of Hiroshima an illusion. This makes our world an illusion and with it all attempts to find out more about our world" (Prigogine, 1994, S. 40, vgl. auch Prigogine, 1988, 1994, 1996a, 1996b, Prigogine & Stengers, 1996, Waller­stein et al., 1995).

 

3.2. Das Interview

Das Gespräch wurde von S. Eigner und P. Schmuck am 26. Juni 1996 in Brüssel mit Herrn Prigogine geführt, auf Tonband aufgenommen, tran­skribiert und in der vorliegenden Form von Herrn Prigogine zur Ver­öffentlichung freigegeben.[1]

Question: Mr. Prigogine, we would like to ask you something about your biography. Would you tell us something about your hopes and disappointments you have had in your life?

llya Prigogine: Well, my biography is dominated by a kind of oppo­sition of dual view. As a young man I was more interested in ar­cheology, in history, in arts and so on. And then, just before the war, my interest shifted to chemistry and physics, and there I felt a kind of fundamental opposition, in the sense that, in physics, the idea of time was supposed to have been solved. I remember very well that I asked famous people - like Heisenberg and many others: "What about time?" And they looked at me with big eyes and said: "Time? That has been solved by Newton and by Einstein and that's all what you want about time." I remember Pauling saying to me one day in 1954: "Space is a problem of science. Time is not a problem for science."

And then, if you ask philosophers you get another answer: Jean Wahl, whose work I like very much, has written a very good book called "Treatise of Metaphysics". He says that time is a main pro­blem of philosophy. And that is, of course, the idea of Heidegger, the idea of Bergson and Whitehead. For them time is really the main mystery of the world. I think that is true, because the flow of time is the only element which is common to everything. I mean, your future is my future and the future of everything is the same. Therefore, time is really what puts universe together. And, in a sense, the idea that time is an essential element is obvious when you look at the history of philosophy. I mean the question of change was always one of the starting-points of human thinking.

So I was faced with a contradiction. The scientific view and the philosophical view. And that is what I always like to call the "cartesian" dualism. And the reason why I call it "cartesian" is be­cause for Descartes it was very clear. You have on one side the "res cogitans", the human mind, and then you have the "res extensa" which is matter. And one can find the same differentiation in Hawking's book "A brief history of time" where he speaks about the geometric universe at the one hand and the anthropic principle at the other. The anthropic principle is again a kind of "res cogitans", and the geometrical view is a kind of "res extensa". I believed that this dualism was very much an artificial problem. I felt that this opposition had to be overcome. And that is the reason why I became interested in time and that is really the central problem of scientific life.

Right. So when was it that you got the idea of the central role of time?

Well, that is difficult to say. Every life is determined by coinciden­ces; you never know exactly why you do things. When I came to the University of Brussels I became a student of Prof. De Donder. He was a mathematician, he was appointed as professor rather late in his life. He was a very remarkable person, because he was born in a very poor family. He was not able to go to the university, but passed his examinations at the "Jury Central". He then obtained a grant to go to Paris and worked under the supervision of H. Poin- caré. Then he came back, corresponded with Einstein and even cor­rected some minor mistakes in Einsteins work, while making very interesting contributions to the theory of relativity. Then he became professor in a highschool and appointed professor at the Brussels University in 1918, after the first World War. He was appointed to the faculty of applied physics of engineering. He wanted to be useful for engineers, so he prepared lectures on electricity and thermal engines. So he started to put together a course on thermo­dynamics. And interestingly enough, he went to a form of thermody­namics which emphasized at least to some extent irreversibility. That was my starting point. I continued his work. I worked also on mole­cular physics, but thermodynamics interested me more, and I wrote very early a book dealing with applications of De Donder's methods.

However De Donder's attempt was very badly received. It is true that what I have been doing later on irreversibility has been ack­nowledged very much and I have received recognition. But still I feel a great resistance by many physicists, because the idea of a physics in which there is no difference between past and the fu­ture, the idea of a physics which deals with certitudes, is an ideawhich appeals to many physicists as bringing us closer to divine knowledge as Leibniz said. Like for God there's no difference bet­ween past and future. Like for God there are no doubts, only cer­titudes. So the idea to use the direction of time on the fundamental level was not looked on with great sympathy. But you cannot blame people who say: "Well, before we give up Newton and Schrödinger and Einstein we have to be very careful!"

Did you never have any difficulties with these people?

Of course there were some people who were aggressive, other people wrote that it is a big revolution, but you see, one shall not forget that my intuitive ideas are rather old. The exact mathematics for it, however, has been found only during the last three years. Because it involves a lot of new mathematics and this was mainly done by my young coworkers, it's natural that it will take a lot of time to reach the majority of scientists. You know, new theories take some time to be developed. For me the problem is more or less solved.

Can you say why you have been so interested in time?

Well, I think precisely because I was also interested in philosophy and music. There, time also plays a big role. Essentially, I had to go beyond De Donder. My first question was: What are the properties of matter in non-equilibrium situations? And that was influenced first of all by my interest in time and also to some extent by the work of Schrödinger. He has written a very interesting book, published in 1944, which I like very much. It was called: "What is life?".

And in this book he discussed the question of heredity. He said life was working like a clock. But I felt that was not a good analogy. Because a clock is working well if you leave it alone. But life is only working well because it's interacting with the outside world, interacting with non-life. I mean it is this interaction which produ­ces its structure. And I have in mind the example of a town. A town is a kind of unit. If the interaction would stop, the town would die. These are the reasons why I became interested in the properties of non-equilibrium.

I published, in 1945, my first paper on non-equilibrium which ex­plains the reasons for stability outside equilibrium. That was the starting point. Also around this time I studied thermal diffusion in which you heat one part of the system and you cool another partand then you see a "structure" appearing. This is a typical non-equilibrium effect.

So essentially, a large part of my work was related to showing the constructive role of time, of the flow of time. And of course once you have the constructive role of time you can no more say that time is due to our approximations, which was the idea of Ehrenfest and Einstein. Therefore, during the last years I could not avoid trying to obtain an extension of dynamics, be it classical (Newton) or quantum (Schrödinger), to put the direction of time at the very basis of physics. But that involves a lot of mathematics. So I really would say that my scientific effort was due to a feeling that some­thing was not in order. And I think that is a very general feature. Many people start from some very simple observation. For example Einstein started with the observation that inertial mass is equal to the gravitational mass. And out of this simple observation he con­structed one of the most beautiful theories of physics - general re­lativity.

You notice here, there is a difference between artistic and scientific creativity. For many artists you should not try to dissect nature, for you would destroy the mystery. This was the opinion of Magritte, Breton and many others.

In science the question is how to incorporate your problem in some intellectual structure. Therefore mathematics plays an essential role.

Right. And do you think the way from the global impression to the

exact analysis is the only right way?

Well, that is one road to creativity. But creativity can be related to many things. For many scientists and certainly for me the route to creativity was influenced by the feeling that something was not clear. That something was contradictory. And therefore I had to analyse the reasons why it was contradictory and try to overcome this difficulty. As I explained: What I felt as contradictory was rooted in the concept of time. For scientists the world was essenti­ally a time reversible world and time, the flow of time was introdu­ced by men, by our approximations. The basic descriptions of Newton and Schrödinger are timeless and symmetrical regarding past and future. For philosophers like Heidegger the direction of time is a basic aspect of the "Dasein". And therefore, you have a dualism in western culture. This dualism goes back to Parmenides. Nature was seen as an automaton, and human beings were seen in some way outside the automaton. This dualistic view is really a very typical characteristic of western civilisation. This dualism has never existed in China and never existed in India. In India and in China humans have always been part of nature considered as a whole.

Have you got an idea how we could overcome this dualism in the western culture at the moment?

Yes. That is precisely the aim of my work. It is not by accident that my work is very popular in China, in India and in Japan, be­cause it shows that at present science can overcome this dualism.

You are also writing that we humans should no longer be strangers who are looking from outside at the world.

As I mentioned classical science was leading to a dualistic view. In other words time was separating us from the universe. Because in the classical universe you would have no flow of time, Einstein was saying that time is an "illusion". But at the same time he was saying that creativity is a pure game of the spirit. But how to re­concile these two statements? They lead to an obvious contradiction. Reductional thinking leads automatically to dualism which I try to overcome. I believe that I have now the right physics for doing it.

You mentioned already the concept of irreversibility and you are stres­sing the issue that many processes in our world are not reversible. We are beginning to understand the consequences of this fact for our­selves and for the future, if we think of radioactive nuclear garbage, problems we have here in Europe and in other countries. What can we do to accelerate insights of this type?

Well, this is a very difficult question. In other words, what you are asking is how to accelerate the adoption of the world to the new conditions? Essentially, we are in a period of transition. And science is also in a period of transition. On one side we have the demogra­phic explosion which leads also to a more careful consideration of nature. On the other hand we have in science the emphasis on time with the discovery of unstable particles, the discovery of the hi­story of the universe, of the residual black body radiation, of the big bang and all kind of things like that.

In other words I would say we go from a universe seen as a geo­metry to a universe seen as a novel. And I like to say that it is not only a novel, it's more like Arabic nights in which Scheherazade tells a story, then she tells another story and another story... Inside each story there are other stories and that's the same in the world. I mean you have the cosmological story, inside of which you have the story of matter, inside of which you have the story of life, inside of which you have the story of humans. You have embedded stories. And you see, therefore, there is change going on in science, there is change going on in society and the question is, in essence, how to adapt society to these new conditions and vice versa. I be­lieve to some extent in self-organization.

In other words, to some extent these mutual adaptations are going on already. A striking example is India. I was in India eight years ago and again a few months ago. There have been enormous chan­ges. I have often been in China and in Korea, too. And there is no doubt that we observe a very important and positive evolution.

In Europe people increasingly feel the disappearance of their privi­leges of position, but in other countries like India and China people feel the increase of their role on the global level.

But, perhaps, I don't grasp exactly the meaning of your question.

We are young people and we want to do something to accelerate insights that certain processes such as the production of radioactive garbage are not reversible. Our problem is, how can we do it?

Well, one thing is to create a different image of science. You see, science corresponds no more to a geometrical, predictable structure. And people have to understand that in essence there is no determi­nism. We should speak about various possibilities. Classical science was very fragmented. And I think one of the things which we have to work for is a less fragmented view. We need a more integrated view. When I was in St. Petersburg a few weeks ago I learned from the rector of St. Petersburg University that they had established a new division of the university. They call it the department of "noosphere". In this division they will teach ecology, physics, philo­sophy and so on.

But have you got an idea how we could support this process in science, so that we overcome the fragmented view?

The fragmented view was unavoidable at the beginning of science. And we need of course still people who are specialized in particular fields be it in differential geometry or in the human genom. That's clear. But we need also people having a more global view. For example, I am not an expert in economy. However, what I can say is that the whole meaning of economy has changed completely: For­merly the idea of economy was a closed system of economic values based on Newtonian physics or equilibrium thermodynamics. Now we see that economy is only a part of human behavior. It's very influ­enced by social considerations, by political considerations and so on. And economy is far from being a stable equilibrium system. It is an evolving system; it leads to bifurcations. We come to a different view in which human sciences are no more subordinated to physical sciences.

In the recent Gulbenkian report on the "Opening of Social Sciences" chaired by Professor Wallerstein we wrote: The classical idea was that the human sciences were second class sciences because they could not speak about certitudes like physics and chemistry. And now we see that everywhere there are possibilities, that the laws of nature are expressing possibilities, not certitudes.

But still you are writing that scientific communities are often very conservative in their methods. Isn't that a contradiction?

No, I hope that slowly they will become less conservative. And they become less conservative. We can support this process through clo­ser interaction of the general public with scientific communities. Also by emphasizing the interaction; by making all scientific infor­mation available in the press, on the radio and so on. For example the situation with nuclear energy is so bad because the information came too late.

One of the dangers is, of course, that we have bifurcation between people who know and people who don't know.

We have some questions regarding our subject. We are interested as psychologists whether you learned of psychology essential insights re­garding the nature of humans. Have you got an idea why people be­have in the way they behave?

No. I have learned very little from psychologists.

What we are specially interested in are psychological questions as: Why do some people achieve a global, more holistic view, and why do many people not develop this perspective?

Because both points of view have to be in parallel. We cannot avoid specialization in some fields. But we have to stress global views in others.

Some psychologists complain that science in the western world is actually like a big horse race. We are the horses or horsemen and compete for the highest speed in the search for truth. What we need instead, they say, is science as a cooperative enterprise, directed at human welfare. Would you agree?

Well, I think we need both. On the one side we need specialists, for example if you're working with problems concerning nonlinear mathe­matics. On the other hand, you have to see the analogies between nonlinear problems in society with the nonlinear problems in che­mistry and in physics. So we see that there are different questions. All universe is becoming more complex, and in this complex universe there are many ways to approach problems. My way was more a way towards integration, but this integration also has to include more specialized research.

For example you have to show in detail how for example it is pos­sible to overcome the limitations of the traditional mechanistic view. You have to show how the direction of time emerges. I think the most important point which I have made is that time is a property of populations; an outcome of "population dynamics" and not of in­dividual trajectories (or wave functions in quantum mechanics). As is well known, psychology of individuals is different from that of populations. Family therapy deals already with a global system. And what we have shown is that for unstable dynamic systems you have to consider ensembles and not individual trajectories or individual way functions. And that's on the level of these ensembles that you have new global properties and that the direction of time evolution emerges.

What is the situation of science at the end of the 20th century?

There are two different points of view: Some people strive for a unified theory of particles-strings or super strings or whatever - and then they believe it will be the end of science.

My point of view is that we are only at the beginning of science. When we compare what nature is doing with photo-chemistry and what we can do, we see a big gap. And when we compare what na­ture has done by creating the human brain and what we can simu­late by computers there is again a big gap.

We are in a very interesting situation: As I mentioned, the flow of time is the common feature of all the elements nature contains. But also time in non equilibrium situations is the generator of fluctua-tions. We are in a world of fluctuations. In the evolution of life on our earth, there were giant spiders as big as a big dog. Obviously nature has not continued this experience. About the same time, two hundred million years ago or so, nature produced the first reptiles which could fly. And they were very strange reptiles, they looked not like birds, not like reptiles, but something in between. And then it has developed and you have beautiful birds which are very effi­cient. Not all reptiles started to fly, not all apes became human. So we have fluctuations. And what we have to understand is the me­chanism of this fluctuation. A fluctuation led from non-life to life. And fluctuations have led from pre-universe to our universe, from apes to men.

Therefore, we are in a period in which we know very little; we are confronted with a different world. The classical world was a world of equilibrium of repetitions. Now humans had two basic experiences: one experience is the experience of repetition. The sun is coming up every morning, the seasons are changing in succession. And then you have the experience of creativity as in arts or in sciences. And these two experiences seem not only to be different, but also fun­damentally opposed. In essence what I try to do is to overcome this opposition. And that's only the beginning. Creativity is part of the laws of nature. We have to analyse how creativity leads to novelty. How complexity is created on the microscopic level. Therefore, you see, when you ask me about my advice about how to change things, I have to be very modest.

Do you have a vision of the future?

My vision of the future is that everybody could come closer to realizing his own possibilities. I think my vision of the future is a new type of civilisation. The neolithic civilisation, the tribe civilisa­tion, was an egaliterian civilisation. Later historical civilisations brought in arts and many important advances, but also brought in inequalities. The pyramid was for the chiefs, and the mass grave for most people. And I think today we can perhaps overcome such diseases of civilisation. I remember Freud has written a small book on the desease of civilisation, but his view was, in my opinion, only very limited, because for him a disease of civilisation was mainly the interdiction of the inzest. I think the main point is inequality. Divi­sion of labour. And that is why you have the appearance of people like Christ, Buddha, Confucius, all dealing with human relations. Itseems to me that perhaps, the development of science will permit people to develop in many directions. There is not a one-directional development of human beings. You can realise yourself by being a good tennis-player, or you can realise yourself by being a good musician. The multivalence is something of the part of the dream you may have today. And that is my Utopia.

Csikszentmihalyi, an american psychologist said that one of the biggest problems at the moment is that material possessions (cars, houses,...) are too important within the value systems in western people. We clean our cars and spend much time dealing with our technical devices. In America each person possesses during a life-time 400 electrical devices, which is a huge number. On the other hand, we spend too little time relating to other people. Would you agree with this opinion?

Well, there may be something true about that. First of all, there are positive aspects to electrical devices as computers connected to networks. Now people have increasingly more relations through com­puters.

But what you say I think is in a sense true. When you go from the European or better from the American society to the Indian society then you see that the Indian society remains more a family society. You have closer relations with all the members of your family. In America the people are separated by professional life, they're gene­rally living in different towns; perhaps it's not unrelated that in America so many people are having psychological problems. But the difficulty is to develop, to emphasize in the construction of the towns of tomorrow, the possibility of people interacting; to have human interaction which is more than the interaction of the typical American suburb, where the people live more or less separate from one another. And they are also interacting at the work place in a very superficial way. Yes, that's a quite interesting question.

Should a scientist in your opinion explicitly utter his personal goals, his wishes, hopes, connected with his research? Or should he work as a neutral truth-seeker?

That depends on the type of work, on his motivation. After all, there are many types of motivation. I've seen a doctor, a few days ago, who wants me to be a member of his committee. He is dealing with fibros, growing often uncontrolled on the human skin. He claims that there are 400 million people who are ill at some form of fibros. His motivation is to improve the state of public health. There are other people whose aim is directed towards helping developing countries. I mean, there are many reasons for doing science.

But what the main point is, I think, is that science is no more eli­tist occupation. For Einstein society was a danger for science, like portrayed in the play "The physicists" of Dürrenmatt, which I like very much. Society will transform discoveries into dictatorships, to death, to apocalypse and so on. This I believe is an antiquated view. Today science provides a very important, positive element in historical development of the world. For example, without science Japan would not be Japan. Japan has no natural resources, but Japan has played a very big role in electrotechnology, in microcom­puters, semi-conductors, and so on.

When I was a young man the music started for me with Bach and Vivaldi. And today we hear on the radio music covering ten centu­ries. And in addition we hear about thousands of composers about which we never heard before. The human world is expanding at a very rapid speed. So knowledge has become a very important factor of human development. That is one of the reasons, in my opinion, to be to some extent optimistic.

But haven't we to consider negative aspects of science, too? Some people complain that science is abused by certain powerful people.Would you agree with this accusation?

There may be some directions of research, in science, that are soci­ally dangerous. I may quote, for example, transplants from embryos which may be useful, let's say, for Alzheimer disease. Therefore there is a danger to transform women into reproducers who sell embryos. That is a social problem, an ethical problem. Therefore, in our time ethics and science are closely interrelated. Now the basis of ethics is a very controversial subject. You know E. Wilson and the selfish gene and other stories like that. I have no strong opinion, but I think we have a feeling that we are respon­sible for life in general and that we are responsible for human life in special. Therefore, we cannot accept that embryos would be destroyed to sell organs. But that is beyond the problem of science. I think we have to emphasize that science is very close to the fun­damental problems of human existence. It is no more an elitist acti­vity. Therefore, everybody should be informed. What is science? What are the limits of science? And what are the possibilities of science? The information problem is much more important than before. Of course science is not everything. Therefore, the partici­pation of the collective is very important today.

What is most important in your life for you? What is your most rele­vant principle?

In essence, I believe that science in general is a dialogue with nature. The greatest experience a theoretical scientist can have is that when he has some ideas and then tests these ideas in an expe­riment and thereby confirms his prediction. At this moment he has a feeling of belonging to something greater than himself. I think, finally, that science is a way to situate yourself in something which is greater than you. It may be called nature.

We thank you for this very interesting talk.

 

4. Ausblick

Abschließend wollen wir unseren eigenen Denkansatz und das hier ge­wählte methodische Vorgehen kritisch hinterfragen und eine zusam­menfassende Antwort auf die eingangs gestellte Frage versuchen. Die in den Antwortbriefen und im Interview geäußerten Passagen, die über die eigene Biographie hinausgehen, sehen wir als Denkanstöße, die hier nicht zu diskutieren sind.

Im Rückblick fragen wir uns, ob unser Denkansatz dem interessieren­den Phänomen ganzheitlichen Denkens und Handelns gerecht werden kann. Uns scheint es im Nachhinein, daß wir selbst geprägt sind durch die mechanistische Sicht der klassischen Wissenschaft. Wir legten unse­rer Suche nach Antworten das klassische Denkmuster zugrunde: Für jedes Ereignis gebe es Ursachen außerhalb des betroffenen Objektes. So wie ein Pendel nur infolge einer äußeren Krafteinwirkung in Schwingung gerät, so könne ganzheitliches Leben gleichfalls nur unter bestimmten äußeren Bedingungen zustandekommen. Nach solchen äuße­ren Bedingungen haben wir in den Biographien der uns interessieren­den Personen geforscht. Daß wir keine entsprechenden Gemeinsamkeiten gefunden haben, kann einfach auf die mangelnde Systematik unserer Datenerhebung zurückgeführt werden: Sicher wird man zu Recht kriti­sieren können, daß die Kriterien der "Probanden"-Auswahl nicht prä­zise genug waren, daß die Fragen des Anschreibens zu offen formuliert waren und so die Antworten schwer miteinander vergleichbar sind. In einer Folgearbeit wurde versucht, an dieser Stelle genauer zu arbeiten (Eigner, 1997).

Trotz dieser Kritik meinen wir, daß unser Befund fehlender durchgän­giger Gemeinsamkeiten in äußerlich-biographischen Bedingungen folgen­den Schluß wahrscheinlich macht: Wo es um Menschen als Forschungs­gegenstand geht, kann eine mechanistische Forschungsstrategie wie die von uns gewählte versagen. Wir Menschen haben gewisse Freiheitsgrade im eigenen Denken und Handeln; das macht einen entscheidenden Un­terschied zum Pendel der klassischen Mechanik.

Herr Prigogine hatte als junger Mann versucht, kriminellem Verhalten durch Analyse der vermuteten zugrundeliegenden physiologischen Me­chanismen auf die Spur zu kommen. Er hat diese Suche nach kurzer Zeit aufgegeben, um in den folgenden Jahren zur Auffassung zu kom­men, daß eine solche mechanistische Herangehensweise nur einfache Grenzfälle des Weltgeschehens aufklären kann.

Bei einer so hochkomplexen Frage, wie wir sie gestellt haben - und noch dazu beim Forschungsgegenstand "Mensch" - ist es wohl naiv, so meinen wir jetzt, sich nur auf einen mechanistischen Denkansatz mit Suche nach Ursachen in den äußeren Bedingungen zu beschränken (vgl. Howard, 1985, Koch, 1973, die die noch weithin übliche Automaten­metapher für menschliches Verhalten kritisieren). Wir glauben schon, daß bestimmte äußere Bedingungen auf einem individuellen Lebensweg ganzheitliches Denken und Handeln fördern können wie etwa selbst er­fahrene Liebe der Eltern oder intensive Naturkontakte in der Kindheit (vgl. Eigner, 1997). Andere Bedingungen wie eine Überhäufung mit eth- nozentrischem, nationalistischem oder anthropozentrischem Gedankengut können die Entstehung ganzheitlichen Denkens sicher behindern.

Gleichwohl scheint uns der freie Wille, die eigene Entscheidung von größerer Bedeutung für ganzheitliches Denken und Handeln als irgend­eine spezifische biographische Bedingung. Eine Reihe von Autoren ist in den letzten Jahren zur Überzeugung gelangt, daß sich menschliches Denken und Verhalten nicht vollständig auf das Wirken einfacher Na­turgesetze reduzieren läßt, daß wir Menschen nicht nur als Glied län­gerer Kausalketten zu betrachten sind, sondern daß wir echte Neuan­fänge schaffen können. Insofern verfehle eine Psychologie, die sich nur an der klassischen Naturwissenschaft orientiert, ihren Gegenstand (Bischof, 1994, Davies, 1990, Metzger, 1982, Montada, 1983, Schwartz, 1990, Czikszentmihaly, 1995, darin S. 74: Sperry, 1981). Die Annahme, daß die eigene Entscheidung, verglichen mit äußeren "Determinanten" auf dem Lebensweg einen starken Anteil an der Entwicklung eines ganzheitlichen Lebens hat, kann u.E. bereits dann als belegt gelten, wenn nur zwei Personen mit sehr unterschiedlichen biographischen Hintergründen es schaffen, diesen Weg zu gehen - und dafür scheint unsere Studie genügend Anhaltspunkte zu bieten.

Hieraus läßt sich für das eigene Verhalten folgern, stärker als bisher eigene Verantwortlichkeiten zu suchen (vgl. Miller, 1969), stärker zu reflektieren, ob wir uns z.B. für oder gegen eine Tätigkeit im Umwelt­schutz, für oder gegen einen Urlaubsflug auf die Malediven entschei­den.

Lassen wir zum Abschluß den Biologie-Nobelpreisträger George Wald zu Wort kommen (Vester, 1984, S. 485f.):

"Sind wir Wissenschaftler, nur um zu studieren, zu messen und zu registrieren, während die Menschheit im Abgrund versinkt? Sind wir nur passive und objektive Zeugen all dieser Zerstörung, ohne je versuchen zu wollen, sie zu verhindern? Mir genügt diese Rolle nicht. Ich glaube, ein Wissenschaftler zu sein, ist in vieler Hinsicht eine religiöse Aufgabe im weitesten Sinne des Wortes. Und wir müs­sen als Wissenschaftler versuchen, nicht nur die Natur zu ergrün­den, sondern wir müssen die Verantwortung übernehmen, die Natur zu bewahren: die Erde zu bewahren, das Leben und den Menschen zu bewahren."

 

 

Weiterführende Literatur zu den angesprochenen Themen

Bateson G.: Es gibt ein umfassenderes Bewußtsein, von dem das indivi­duelle nur ein Teil ist. In Ernst, H. (Hrsg.) Innenwelten (9-24). Heyne-Verlag, München, 1994.

Bateson, G.: Geist und Natur - Eine notwendige Einheit. In: M. Schaeffer & Bachmann, A. (Herausgeber): Neues Bewußtsein, neues Le­ben. Bausteine für eine menschliche Welt. Heyne, 1989.

Bergson, H.: Materie und Gedächtnis. Jena: Diederichs, 1908.

Bischof, N.: Die Natur setzt uns keine Grenzen, aber sie fordert ihren Preis. In Ernst, H. (Hrsg.) Innenwelten (25-42). Heyne-Verlag, München, 1994.

Bischof, N.: Aristoteles, Galilei, Kurt Lewin - und die Folgen. In W. Mi­chaelis (Hrsg.) Bericht über den 32. Kongreß der Deutschen Ge­sellschaft für Psychologie, (Band 1, 17-39), Zürich, 1980.

Bühler, K.: Die Krise der Psychologie. Gustav Fischer Verlag, Jena, 1927.

Capra, F.: Krise und Wandel in Wissenschaft und Gesellschaft. In: M. Schaeffer & Bachmann, A. (Herausgeber): Neues Bewußtsein, neues Leben. Bausteine für eine menschliche Welt. Heyne, 1989.

Capra, F.: Das neue Denken. Ein ganzheitliches Weltbild im Spannungs­feld zwischen Naturwissenschaft und Mystik. Begegnungen und Reflexionen. Deutscher Taschenbuch Verlag, 1992.

Czikszentmihaly, M.: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben. Eine Psychologie für das 3. Jahrtausend. Klett-Cotta Verlag, 1995.

Czikszentmihaly, M.: Creativity. Flow and the psychology of discovery and invention. HarperCollins Publisher, 1996.

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Dörner, D.: Empirische Psychologie und Alltagsrelevanz. In G. Jüttemann (Hrsg.): Psychologie in der Veränderung. Beltz-Verlag, 1983.

Dürr, H.-P.: Naturverständnis und politische Macht. Unveröffentlichtes Manuskript, 1995

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Flechtheim, 0.: Ist die Zukunft noch zu retten? Lang-Verlag, 1995.

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lllich, I.: Wider die Verschulung. In: M. Schaeffer & Bachmann, A.

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Wehner, E.: Geschichte der Psychologie. Wissenschaftliche Buchgesell­schaft, 1990.

Weischedel, W.: Die philosophische Hintertreppe, Nymphenburger, 1980.

Buchpublikationen des Erstautors:

Schmuck, Peter: Primingexperimente zur Untersuchung der Merk­malscharakteristik natürlicher Begriffe. Regensburg: Roderer, 1993.

Schmuck, Peter: Die Flexibilität menschlichen Verhaltens. Frank­furt/Main: Europäischer Verlag der Wissenschaften Peter Lang, 1996.

Schmuck, Peter: Traumwirbel. Geschichte über unsere Zukünfte. Berlin: Frieling, 1997.



1 Zu den biographischen Angaben vgl. Czikszentmihaly, 1996

 

1 Für die stilistische Überarbeitung der englischen Fassung danken wir herzlich Herrn Peter Shaffer und Herrn Ulf Rosenov.